Verfassungsschutz stuft AfD erstmals in Gänze als gesichert rechtsextremistisch ein
Verfassungsschutz sieht demokratiefeindliche Tendenzen nicht mehr nur in einzelnen Parteiflügeln, sondern im Gesamtauftreten der AfD – die Partei spricht von politisch motivierter Willkür.
Der Verfassungsschutz hat die AfD am 2. Mai 2025 erstmals in ihrer Gesamtheit als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft. Damit verschärft sich der staatliche Umgang mit der Partei deutlich: Die bisherige Unterscheidung zwischen radikalen Strömungen wie dem sogenannten „Flügel“ und dem restlichen Parteiapparat entfällt.
Die Entscheidung markiert einen rechtlichen und politischen Einschnitt – sie erlaubt weitreichende Überwachungsmaßnahmen und sendet ein klares Signal zur Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Abkehr von der Trennung
Bislang hatte der Verfassungsschutz zwischen dem sogenannten „Flügel“ – einer offiziell aufgelösten, aber faktisch weiter aktiven Strömung – und dem Rest der Partei unterschieden. Diese Unterscheidung entfällt nun. Laut Bundesinnenministerium liegt eine ideologische Durchdringung der gesamten Partei mit verfassungsfeindlichem Gedankengut vor.
Die Maßgabe: Nicht nur einzelne Teile oder Akteure, sondern die AfD insgesamt vertritt inhaltliche Positionen, die dem demokratischen Verfassungsstaat entgegenstehen.
Begründung: Ausschlussdenken statt Gleichwertigkeit
Im Zentrum der Begründung steht ein Gesellschaftsbild, das Menschen entlang ethnischer und kultureller Zugehörigkeit bewertet. Das Bundesamt sieht eine systematische Abwertung von Migrantinnen und Migranten sowie eine demokratiefeindliche Rhetorik, die den Boden für Ausgrenzung und politische Radikalisierung bereitet.
Zitat aus dem Verfassungsschutzbericht: „Die AfD setzt auf die Vorstellung eines homogenen Volkskörpers, der durch Einflüsse von außen bedroht werde.“
Rechtliche Folgen – und politisches Gewicht
Die neue Einstufung ist keine Symbolpolitik: Sie erlaubt dem Verfassungsschutz tiefere Eingriffe – etwa durch verdeckte Ermittlungen oder den Einsatz von V-Leuten. Rechtlich ändert sich damit die Eingriffsschwelle für Überwachungsmaßnahmen. Doch auch politisch sendet die Entscheidung ein klares Signal.
Für den öffentlichen Dienst, Schulen, Sicherheitsbehörden oder Arbeitgeber im Staatsdienst könnte die Einstufung Konsequenzen für Parteimitglieder oder -sympathisanten haben.
Reaktionen: Entsetzen, Rückhalt, Strategie
Während die Parteiführung der AfD die Entscheidung als „Kampagne des Staates gegen die Opposition“ bezeichnete, zeigen sich andere Parteien erleichtert – und fordern Konsequenzen. Innenpolitiker der SPD und Grünen sprechen sich offen für eine Diskussion über ein mögliches AfD-Verbotsverfahren aus.
Die Union hingegen mahnt zur Zurückhaltung: Ein solcher Schritt sei rechtlich hochkomplex und könne der Partei nützen, wenn er scheitert.
Internationale Reaktionen fallen gespalten aus. Während in Frankreich und den Niederlanden ähnliche Entwicklungen beobachtet werden, kritisieren Vertreter der US-Republikaner die deutsche Maßnahme als „Einschränkung der Meinungsfreiheit“.
Wendepunkt oder Eskalation?
Die neue Einstufung ist ein Schritt, der nicht allein juristisch, sondern auch gesellschaftlich wirkt. Sie zwingt Parteien, Medien und Wählerschaft zur Auseinandersetzung mit der Frage: Wo verläuft die Grenze zwischen Protest und Verfassungsfeindlichkeit? Und wie viel Repression verträgt die Demokratie, ohne ihre eigene Offenheit zu gefährden?
Chronik der Entwicklung
- September 2018: Das Landesamt für Verfassungsschutz in Thüringen erklärt die AfD zum Prüffall und beginnt mit der Sammlung öffentlich zugänglicher Informationen.
- Januar 2019: Der Bundesverfassungsschutz kündigt an, die AfD bundesweit als Prüffall zu behandeln.
- März 2021: Das BfV stuft die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein, was eine Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln ermöglicht.
- März 2022: Das Verwaltungsgericht Köln bestätigt die Einstufung der AfD als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz.
- Mai 2025: Das BfV stuft die AfD als gesichert rechtsextremistische Bestrebung ein.
Diese Entwicklung zeigt eine zunehmende Besorgnis der Sicherheitsbehörden über die ideologische Ausrichtung der AfD und ihre Auswirkungen auf die demokratische Grundordnung in Deutschland.
AfD-Vorsitzender relativiert
AfD-Co-Vorsitzender Tino Chrupalla kritisierte die Einstufung scharf und kündigte rechtliche Schritte an. Er forderte die Offenlegung der Belege und bezeichnete die Entscheidung als politisch motiviert.
Chrupalla betonte: „Die Mitglieder der Bundesregierung haben sich per Eid zur Verteidigung des Grundgesetzes verpflichtet. Dazu gehört auch, demokratische Parteien an der Willensbildung mitwirken zu lassen. Unter Nancy Faeser wird das Bundesinnenministerium noch stärker als zuvor für eine parteipolitische Agenda missbraucht.“
Diese Aussagen stehen im Widerspruch zu den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes, der in einem umfassenden Gutachten dokumentiert, dass die AfD ein ethnisch-exklusives Volksverständnis propagiert und durch diskriminierende Rhetorik gegenüber Migranten und Minderheiten auffällt. Zudem werden Verbindungen der AfD zu rechtsextremen Netzwerken wie der Identitären Bewegung festgestellt.
Während Chrupalla die Einstufung als politisch motiviert kritisiert, stützt sich der Verfassungsschutz auf umfangreiche Belege, die eine verfassungsfeindliche Ausrichtung der AfD dokumentieren. Die Diskussion über ein mögliches Parteiverbotsverfahren wird durch diese Entwicklungen weiter befeuert.
Weiterhin ist er der Auffassung, dass die AfD nicht wisse, welche konkreten Aussagen oder Handlungen zur Einstufung geführt hätten. Ohne diese Informationen könnten sich Mitglieder oder Funktionäre auch nicht selbstkritisch hinterfragen oder ihr Verhalten ändern.
Diese Argumentation verweist auf einen Kernkonflikt: Wie kann sich eine Organisation gegen eine Einstufung wehren oder darauf reagieren, wenn die zugrunde liegenden Informationen nicht öffentlich sind?
Warum der Bericht nicht veröffentlicht wird
Juristisch betrachtet unterliegt das Bundesamt für Verfassungsschutz besonderen Geheimhaltungspflichten. § 16 Abs. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) erlaubt die Weitergabe von Informationen nur in einem gesetzlich begrenzten Rahmen – insbesondere, wenn dies für die Aufgabenerfüllung anderer Behörden erforderlich ist. Eine vollständige Veröffentlichung aller Erkenntnisse ist hingegen ausgeschlossen, vor allem zum Schutz nachrichtendienstlicher Quellen, eingesetzter Mittel und laufender Beobachtungen.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterstützt diese Praxis. In seinem grundlegenden Urteil vom 24. Mai 2005² betonte das Gericht, dass die verfassungsmäßige Ordnung nicht nur durch Gesetze, sondern auch durch „wehrhafte Strukturen“ geschützt werden müsse – wozu der Verfassungsschutz als präventiv arbeitender Nachrichtendienst gehöre.
Die Balance zwischen Transparenz und effektiver Gefahrenabwehr müsse dabei zugunsten des Gemeinwohls ausgelegt werden, auch wenn dies Einschränkungen für Betroffene mit sich bringe.
Klagemöglichkeit besteht
Auch wenn die Veröffentlichung des Berichts nicht vorgesehen ist, steht der AfD der Rechtsweg offen. Sie kann Einsicht in die entscheidungsrelevanten Akten im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beantragen und gegebenenfalls auf Aufhebung der Einstufung klagen – wie sie es bereits 2022 im Verfahren zur Verdachtsfall-Einstufung getan hat.
Die demokratische Kontrolle des Verfassungsschutzes ist somit gewährleistet, auch wenn sie nicht öffentlich-medial, sondern institutionell erfolgt.
Quelle: Regio1, BfV,